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Cerrar los ojos

Cerrar los ojos / Close your Eyes

E 2023, 169 min, OmeU: Sa, 26.04. 20:30 Uhr + Sa, 03.05. 20:00 Uhr Filmgalerie

Als Erice mit Cerrar los ojos 2023 nach rund 30 Jahren seinen letzten Langfilm vorlegt, war dies für Cinephile in aller Welt eine kleine Sensation. Wie der Titel schon andeutet, ist das Werk zugleich als ein Abschluss gedacht, in dem Erice alle wichtigen Motive seiner Vorgänger aufnimmt, zusammenführt und verdichtet.

Die äußere Handlung erscheint zunächst wie ein Krimi: Im Fernsehen wird von einem ungelösten Fall berichtet, in dem ein Schauspieler vor zwanzig Jahren mitten in den Dreharbeiten plötzlich verschwand und nie wieder auftauchte. Befragt wird auch der damalige Regisseur des Films, der sich auf eine Reise in die Vergangenheit begibt, die man für eine detektivische Arbeit halten könnte, wenn es Erice nicht um ganz andere Themen ginge: um den Blick zurück auf eine Welt des Kinos, die im Verschwinden begriffen ist, um das unvollkommene künstlerische Schaffen, um nicht gelebte Beziehungen und um das Alter. Faszinierend ist es, Ana Torrent, die 1973 die kleine Ana in El espíritu de la colmena gespielt hat, fünfzig Jahre später unter der Regie Erices wiederzusehen, um einmal mehr das Verhältnis zu ihrem Vater zu hinterfragen.

In Cerrar los ojos führt Erice die Fäden seines Werkes zusammen, ohne sich dabei eitel selbst zu zitieren, sondern um sich nostalgisch, aber bewusst zu verabschieden. Dabei stellt er zwei Figuren nebeneinander, die jeweils für das Erinnern und das Vergessen stehen. Wenn eine der beiden, wie der Titel ankündigt, am Ende die Augen schließt, so scheint er sagen zu wollen, dass letztlich alles dem Vergessen anheimfällt. Das mag zwar sein, die Filme aber werden den Zuschauern noch lange in Erinnerung bleiben.

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El sol del membrillo

El sol del membrillo / Das Licht des Quittenbaums

E 1992, 139 min, OmeU: Sa, 26.04. 17:30 Uhr; Filmgalerie

Víctor Erices Dokumentarfilm El sol del membrillo, der in Spanien geradezu einen Kultstatus hat, begleitet den berühmten spanischen Maler Antonio López, bei seinem Versuch, einen Quittenbaum in seinem Garten zu malen. Was so einfach klingt, erweist sich jedoch als unlösbare Aufgabe, weil die Tage dahingehen, Licht, Farben und Formen sich ständig verändern und es dem Künstler nicht gelingt, das Flüchtige der Natur und des Lebens festzuhalten, so dass der Film zugleich eine Reflexion über die Unabschließbarkeit künstlerischer Arbeit darstellt.

Erice begleitet López in ruhigen, langen Szenen und lässt die Zuschauer den kreativen Prozess intensiv miterleben – von der ersten Skizze bis zu den immer wiederkehrenden Blicken auf den Baum, der sich mit jeder Minute verändert. Es ist ein langsames, geduldiges Spiel mit der Zeit, in dem der Maler mit jedem Pinselstrich versucht, Baum, Blätter und Früchte im Bild zu bannen. In der Langsamkeit und dem detaillierten Blick des Films liegen Schönheit und Wahrheit verborgen, die den Zuschauer in eine fast meditative Stimmung versetzt. Es ist ein Film, der uns lehrt, die Welt um uns herum auf eine neue Weise zu sehen und die fließende Natur der Zeit zu begreifen. Der kreative Prozess, der so viel Geduld erfordert, wird zu einer Reflexion über das Leben selbst: immer im Fluss, immer unvollständig, aber immer wertvoll.

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El Sur

El Sur – die Sehnsucht nach dem Süden

E 1983, 94 min, OmeU: Fr, 25.04. 20:30 Uhr; Filmgalerie

Zehn Jahre nach seinem ersten Langfilm erzählt Erice in El Sur (Der Süden, 1983) erneut von der Kindheit, Fantasie und familiären Geheimnissen und verarbeitet in poetischen Bildern und Szenen die Spannungen zwischen Erinnerung und Gegenwart, Traum und Wirklichkeit. Nach dem gleichnamigen Roman von Adelaida García Morales, der damaligen Partnerin Erices, erzählt der Film von der kleinen Estrella, die in den 1950er-Jahren mit ihren Eltern in einer ländlichen Gegend im Norden Spaniens aufwächst. Sie ist sie fasziniert von ihrem Vater und seinen Fähigkeiten als Wünschelrutengänger. Doch nach und nach kommt sie seiner geheimnisvollen Vergangenheit auf die Spur und versucht, die Rätsel ihrer Familiengeschichte zu entschlüsseln. Der Süden, aus dem Vater stammt – symbolisch aufgeladen mit Erinnerungen, Sehnsüchten und unerfüllten Träumen – wird dabei zu einer schillernden Metapher für alles, was verloren und unerreichbar scheint.

In Erices meisterhafter Inszenierung verschmelzen die geografischen und emotionalen Gegensätze zu einem filmischen Gedicht, das von der Kamera José Luis Alcaines und der träumerischen Musik Enrique Granados‘ untermalt wird. Die Kontraste von Licht und Schatten spiegeln die inneren Haltungen der Figuren wider, während die Landschaften des Nordens mit ihrer kargen Schönheit eine unüberwindbare Distanz zum verheißungsvollen Süden verdeutlichen.

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El espíritu de la colmena

El espíritu de la colmena / Der Geist des Bienenstocks

E 1973, 103 min, OmeU: Fr, 25.04. 18:00 Uhr; Filmgalerie

In einem kastilischen Dorf der 1940er Jahre lebt die sechsjährige Ana, die in einem Wanderkino den Film Frankenstein von James Whale sieht und sich dadurch auf eine innere Reise zwischen Realität und Fantasie begibt. Als sich ein geflohener Widerstandskämpfer in der Nähe versteckt und getötet wird, deutet sie diese Geschehnisse im Lichte des Films und bringt sie weiterhin mit ihrem in sich gekehrten und geheimnisvollen Vater in Zusammenhang. Über diese Verquickung gelingt es Erice, sowohl die Macht des Kinos zu inszenieren als auch indirekt die Nachwirkungen des spanischen Bürgerkriegs zu thematisieren und damit zugleich die franquistische Zensur auszuspielen. Dabei nutzt er sparsame, punktuelle Dialoge und Elemente aus dem Horrorklassiker, um die kindliche Wahrnehmung von Angst und Naivität auf subtile Weise zu illustrieren.

Die meisterhafte Inszenierung von Licht und Schatten, beeindruckende Kinderblicke, eine Symbolsprache, in der sich die kindliche Weltwahrnehmung ausdrückt, und die hintergründigen Anzeichen von ebenso tiefsitzenden wie unverstandenen Traumata des Krieges innerhalb der Familie machen El espíritu de la colmena zu einem Werk, das zurecht als ein Meilenstein der spanischen Filmgeschichte gilt und bis heute seine poetische Faszination ausübt.